Sommerlager in Bulgarien

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von Robin Hietz und Jakob Hauser

 

Wenn nach zwei Wochen weniger Pfadfinder mit dir im Flugzeug sitzen als bei der Hinreise, wenn man Smartphones, Messer, Ketten, Siebe, Bankomatkarten – kurz: alles – verloren hat, dann weiß man, wo man war. Nein, es ist nicht was Sie denken. Der Sand, der es sich im Schlafsack, zwischen Zehen und Zähnen und in der Unterwäsche gemütlich gemacht hat, spricht eine andere Sprache.

Die Lagerplanung war durchaus kontrovers – nicht nur, dass wir am Ende nicht in das Land fuhren, in das wir ursprünglich wollten: Nein, auch am Lager selbst haben Mitglieder die verdutzte Gruppe grundlos am Strand stehen gelassen und sich nach Hause aufgemacht. Naja: Ein Kunstwerk ist ja bekanntlich nicht schlecht, nur weil es nicht der breiten Masse gefällt. Dabei handelte es sich bei diesem Lager keineswegs um ein Nischenprodukt. Wir haben nicht nur Landschafts- und Städtetourismus betrieben, sondern auch Klostertourismus, Bustourismus, als ganz besonderes Highlight unter den Abenteuern Taxitourismus, Hostel-Tourismus, Biertourismus, Ranz-am-Strand-Tourismus, sich-reich-fühlen-Tourismus, Ramschmarkttourismus, und Ex-Kommunismus-Tourismus.

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Zu unserem Glück waren wir schon vor dem Lager eine eingespielte Truppe – so hatte man die Gelegenheit, statt seine Zeit mit Kennenlernen und Zusammenwachsen zu verbringen, endlich einmal wenigstens eines der Bücher, die man mitgebracht hatte, auszulesen (oder zu verlieren – oder beides). Für mich persönlich? Etwas nie Dagewesenes. Der Leser soll aber keinesfalls denken, dass die Gruppe nach Bulgarien gefahren ist, um es sich dort gutgehen zu lassen. Die abwechslungsreiche Umgebung war bestens dafür geeignet, diverse Grenzen auszutesten: Wie abstoßend wirken meine Haare nach drei Tagen Sonne und Meer und keinem Shampoo? Wie viel anstrengender ist an der Stelle laufen, wenn man es im Sand tut? Wie kalt ist dieser See, in dem Eisschollen schwimmen? Wie lang kann der Weg zum Kloster schon sein? Wie wenig Geschmack kann Käse haben? Mit wie wenig Arbeit kann ich mich durch zwei Wochen Lager durchschlagen? Wie viele Menschen passen in einen Bus mit schätzungsweise fünfzehn Plätzen?

Die Antwort ist: Sehr.

Die Sache mit den Bussen ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Situationen, in dem der Gruppenzusammenhalt in aller Härte auf die Probe gestellt wurde. Da war das eine Mal, wo wir bei einer mehrtägigen Wanderung nur Brot und Wasser mithatten und wussten, wer schuld war. Oder wie eines Morgens die liebe Leiterschaft auf einmal uniformiert auftauchte. Puh. So mancher fürchtete schon, dass jetzt tatsächlich einmal geleitet würde. Aber soweit musste es (Gottseidank) nicht kommen. Außerdem will ich an den Moment erinnern, an dem sich eine gewisse Person (die hier nicht genannt werden will) dazu entschieden hat, dem ganzen Rest der Truppe jegliches Gefühl der Nützlichkeit zu rauben und quasi den ganzen Lagerabwasch allein zu erledigen. Auch da war es nicht zu Ende mit sozialem Brennstoff: Leiberln wurden verborgt, fremde Sachen verschmissen, Dinge runtergehaut. Es wurden Schlucke aus dem falschen Glas genommen, Leute wollten etwas von meinem Brot haben, und manchmal wurde sogar gestritten.

Last, but not least – es wurden Nudeln gekocht.
Dieser Artikel mag scherzhaft wirken, aber man sei sich versichert, dass ich mich hier in vollem Ernst und im Namen der ganzen entschuldigen möchte. Jakob, ich weiß nicht, wie es dazu kam, dass gerade du der warst, der den ersten Küchendienst übernahm. Jakob, ich weiß nicht mehr, warum wir es alle von da an als Selbstverständlichkeit gesehen haben, dass du kochst. Wir alle wussten tief drinnen, dass du der Mensch bist, der Kochen am meisten hasst. Aber du, wie du eben bist, hast kein Wort gesagt und weitergemacht. Jakob, es tut mir leid. Ich hoffe, dass es uns allen leidtut.

Um wieder ein freundlicheres Thema anzuschneiden: Bulgaren.
Wenn man das Glück hat, eine Sprache zu finden, in der man sich verständigen kann, dann sind die Ansässigen Leute oft sehr gute und vor allem gesprächige Zeitgesellen, und ich denke, dass die meisten aus dem Diskurs viel mitgenommen haben. Insbesondere möchte ich hervorheben, dass mir das Konzept des Auges als Gottesbeweis nähergebracht wurde (danke an Kiril!) – ein Gedanke, der für mich so neu wie verlockend war. Aber auch ohne die Warnung vor der Zigeunermafia (danke an den fremden Bulgaren mit dem ausgezeichneten Deutsch im Zug!) wären wir sicherlich nicht besonders weit gekommen, ohne all unsere Wertsachen zu… Warte. Warte…
Dann war da natürlich noch der Bulgare am Strand, der irgendwie zwei Namen hatte und mit uns die Abende verbracht hat, und Lorenzo Alessandri, dem ich für die interessante Führung durch Sofia danken möchte. Die Bulgaren, die aber in besonderer Erinnerung bleiben werden, sind die Hostelbesitzer. Was Unterkünfte angeht, war eine besser als die andere. Begonnen vom HostelMostel, bei dem es zum Frühstück Waffeln gab, über das Yo-Ho-Hostel mit seinem lauschigen Innenhof und den Sammlungen an Büchern, Bandfotos, Trollen etc. bis zum krönenden Abschluss: The Crib. Eigentlich genügt es ja schon vollkommen, dass in dieser Unterkunft Tintin auf Hessisch auflag. Aber das war nicht alles. Die Atmosphäre gewann vor allem dadurch, dass das Hostel von einem Paar mit einer kleinen Tochter geführt wurde. Diese Leute lebten selbst nur einen Stock über dem Hostel und das Kind (das vielleicht fünf war) hat es sich anscheinend zur Angewohnheit gemacht, sich mit den Hostelbewohnern anzufreunden. Ich kann mir eigentlich kaum eine schönere Kindheit vorstellen.

Überhaupt war Plovdiv, die Heimat dieses Hostels, eine Stadt, die all unsere Erwartungen übertroffen hat. Zwar hieß es auch im Reiseführer „schöne Altstadt“, aber das hat niemanden so recht überzeugt und letztendlich war es doch eher Glück, dass wir doch noch hingefahren sind. Als wir von dort am vorletzten Lagertag langsam die Heimreise antraten, wären wir eigentlich gern noch ein paar Tage dort geblieben. Besonders in Erinnerung bleiben werden mir persönlich die Katzen und die Hügel. Wenn Wien eine Sache fehlt, dann sind es Hügel mitten in der Stadt.

Von da geht es also heim. Der Flughafen wird ohne allzu große Verluste (lediglich eine Bankomatkarte) verlassen, das Flugzeug bringt uns so schnell nach Hause, dass niemand begreift, wie weit wir eigentlich weg waren, und dann sitzt man am Flughafen fest und die Mama steckt im Stau.

In Bulgarien hätte ich das Taxi genommen.